18.12.2017

Am Ende ein Sieg: Die Betriebsratswahl bei Lebenshilfe in der Schule gGmbH ist wirksam

Vier Monate haben der Betriebsrat und ich eisern dafür gekämpft, dass die Betriebsratswahl der Lebenshilfe in der Schule gGmbH wirksam ist. Nun hat das Arbeitsgericht Berlin bestätigt, wovon wir alle stets überzeugt waren: Ja, die Betriebsratswahl ist wirksam und der Betriebsrat ist rechtmäßig im Amt. Den Antrag des Arbeitgebers auf Feststellung, dass die Betriebsratswahl nichtig ist oder ein Anfechtungsgrund vorliegt, hat das Gericht zurückgewiesen. Dabei wurde es sehr deutlich: Eine Nichtigkeit hielt das Gericht für „offensichtlich“ ausgeschlossen, so dass der Nichtigkeitsantrag der Arbeitgeberin „aus Sicht des erkennenden Gerichts fernliegend“ war.

Was war passiert?
Der alte Betriebsrat der Berliner Schulassistenz gGmbH, die Schulhelfer für behinderte Kinder an Schulen entsendet, befand sich in einem Übergangsmandat, das am 31.07.2017 auslief. Aus diesem Grund hatte er einen Wahlvorstand eingesetzt. Dieser organisierte Neuwahlen zum 13.07.2017. Kurz vor der Betriebsratswahl wurde das Unternehmen der Berliner Schulassistenz gGmbH mit dem Unternehmen der Lebenshilfe Schulhilfe gGmbH verschmolzen. Diese Verschmelzung auf Unternehmensebene hatte jedoch keinerlei Auswirkungen auf die Betriebsratswahl. Sie lässt die Betriebsebene unberührt und führte nur dazu, dass das Unternehmen Berliner Schulassistenz gGmbH nun zwei Betriebe hatte. Auch die gleichzeitige Umfirmierung des Unternehmens in Lebenshilfe in der Schule gGmbH änderte daran nichts

Es ist jedoch möglich, in einem zweiten Schritt auch die beiden Betriebe zu verschmelzen. Dies behauptete die Arbeitgeberin, sei automatisch mit der Eintragung der Verschmelzung auf Unternehmensebene ins Handelsregister Ende Juni 2017 geschehen. Damit hätten nach ihrer Auffassung auch die 139 Arbeitnehmer des Betriebs der Lebenshilfe Schulhilfe gGmbH bei der Betriebsratswahl der Berliner Schulassistenz gGmbH mitwählen dürfen.

Allerdings teilte die Arbeitgeberin dem Wahlvorstand die angebliche Betriebsverschmelzung mit keinem Wort mit. Im Gegenteil: Sie übersandte ihm weiterhin wöchentlich nur das aktualisierte Verzeichnis der Mitarbeiter der Berliner Schulassistenz gGmbH. Auch auf einer Mitarbeiterversammlung erwähnte die Arbeitgeberin mit keinem Wort, dass nach ihrer Auffassung nicht nur die Unternehmen, sondern auch die beiden Betriebe verschmolzen seien. Vielmehr erhielt sie gegenüber dem Wahlvorstand stets das Bild aufrecht, dass es sich nach wie vor um zwei getrennte Betriebe handelt.

Erst wenige Tage vor der Wahl erhielt der Wahlvorstand ein um die 139 Arbeitnehmer des Betriebs der Lebenshilfe Schulhilfe gGmbH ergänztes Mitarbeiterverzeichnis. Der Versuch des Wahlvorstandes, zu klären, was diese Änderung für die Wahl zu bedeuten habe, scheiterte an der mangelnden Auskunftsbereitschaft der Arbeitgeberin. Da keine Aufklärung zu erreichen war und die Arbeitgeberin stets angekündigt hatte, dass eine Verschmelzung der beiden Betriebe erst zum 01.08.2017 erfolge, führte der Wahlvorstand die Wahl wie eingeleitet durch.

Ein abstruser Vorwurf: Die Wahl sei nichtig
Das böse Erwachen kam danach, als beim neuen Betriebsrat ein Schriftsatz der Arbeitgeberin einging, mit dem diese beim Arbeitsgericht Berlin den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise der Anfechtbarkeit und damit der Unwirksamkeit der Betriebsratswahl stellte. Der Wahlvorstand habe absichtlich die 139 Arbeitnehmer von der Wahl ausgeschlossen und sie damit bewusst ihrer demokratischen Rechte beraubt. Dieser Verstoß sei so gravierend, dass die Wahl nicht nur anfechtbar, sondern nichtig sei.

Der Unterschied zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit besteht darin, dass der Betriebsrat, wenn die Wahl nur anfechtbar ist, bis zur rechtskräftigen Feststellung der Anfechtbarkeit durch ein Gericht mit allen Rechten und Pflichten ordnungsgemäß im Amt ist. Ist die Wahl dagegen nichtig, existiert der Betriebsrat von Anfang an nicht, ohne dass es dafür eine gerichtliche Feststellung braucht.

Dabei ist ein eine Betriebsratswahl nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nur nichtig bei groben und offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts, die so schwerwiegend sind, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der schwerwiegenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders krassen Wahlverstößen angenommen werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Mangel offenkundig ist und deshalb ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss “den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen” (BAG, Beschluss vom 19.11.2003 – 7 ABR 25/03). Dieser Vorwurf war im vorliegenden Fall völlig abstrus, dennoch hielt die Arbeitgeberin eisern an ihm fest.

Was danach geschah
Was folgte, waren vier Monate Nervenkrieg für die damals elf Betriebsratsmitglieder, von denen im Laufe der Zeit sechs aufgaben und zurücktraten. Die Arbeitgeberin weigerte sich, den neugewählten Betriebsrat anzuerkennen. Sämtliche Versuche, sich auf einen Kompromiss zu einigen, scheiterten am Widerstand der Arbeitgeberin. Das bedeutete für die Betriebsratsmitglieder, dass sie die gesamte Zeit, in der sie Betriebsratsarbeit während der Arbeitszeit ausübten – so, wie es das Gesetz vorschreibt – damit rechnen mussten, dass ihnen wegen Arbeitsverweigerung gekündigt wird oder sie keinen Lohn erhalten. Außerdem missachtete die Arbeitgeberin die Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte des Betriebsrats.

Der Arbeitgeber macht Stimmung gegen den Betriebsrat
Einige der Wahlvorstandsmitglieder waren zu Mitgliedern des neuen Betriebsrats gewählt worden. Für diese war es besonders bitter, dass die Arbeitgeberin überall verbreitete, der Wahlvorstand hätte bewusst die 139 Arbeitnehmer der Lebenshilfe Schulhilfe von der Wahl ausschließen wollen. Nichts ist jedoch ferner von der Wahrheit als das:

Sowohl der alte Betriebsrat als auch der Wahlvorstand und der neue Betriebsrat waren stets davon ausgegangen, dass nach der Betriebszusammenlegung zum 01.08.2017 zeitnah Neuwahlen für beide Betriebe eingeleitet werden, so dass der Betriebsrat auf einer soliden demokratischen Grundlage steht. Einzig der Umstand, dass das Übergangsmandat des alten Betriebsrats am 31.07.2017 auslief und die Arbeitgeberin stets behauptet hatte, die Betriebsverschmelzung finde erst zum neuen Schuljahr am 01.08.2017 statt, zwang den alten Betriebsrat dazu, Neuwahlen noch vor diesem Datum einzuleiten. Allen Beteiligten wäre es lieber gewesen, es hätte nur eine Wahl geben müssen. Dies war jedoch rein rechtlich nicht möglich. Das Übergangsmandat war bereits um sechs Monate verlängert und das Gesetz lässt eine Verlängerung über den 31.07.2017 hinaus nicht zu. Es wäre zu einer betriebsratslosen Zeit gekommen. Diese wollten alle Beteiligten im Interesse der Arbeitnehmer unbedingt vermeiden.

Was hat das Gericht gesagt?
Das Gericht stellte unzweifelhaft klar, das von Nichtigkeit keine Rede sein könne. So schreibt es:

„Es ist für das Gericht offensichtlich, dass … nicht gegen allgemeine Grundsätze einer ordnungsgemäßen Wahl verstoßen wurde, schon gar nicht in so hohem Maße, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Die gegenteilige Auffassung des antragstellenden Arbeitgebers ist in dieser Situation aus Sicht des erkennenden Gerichts fernliegend“.

Die Wahl ist nach Ansicht des Gerichts auch nicht anfechtbar. Dabei ließ sich das Gericht von dem Gedanken leiten, dass die Beteiligten überhaupt nicht beeinflussen konnten, wann die Eintragung der Verschmelzung ins Handelsregister erfolgte: „Wäre die Eintragung erst nach der Betriebsratswahl erfolgt, die keine drei Wochen nach dem Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Eintreibung stattfand, wäre eine Anfechtung mit der jetzt erfolgten Begründung ausgeschlossen gewesen.“

Aus diesem Grund zog das Gericht für die Frage der Anfechtbarkeit den Rechtsgedanken des § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG heran. Danach ist ein Betriebsrat zu wählen, wenn mit Ablauf von 24 Monaten, vom Tage der Wahl an gerechnet, die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer um die Hälfte, mindestens aber um fünfzig, gestiegen oder gesunken ist. Dies traf nicht zu: Die Berliner Schulassistenz gGmbH hatte vorher ca. 470 Arbeitnehmer, die Lebenshilfe Schulhilfe gGmbH 139 Arbeitnehmer. Die Schwelle von mehr als der Hälfte hinzugekommener Arbeitnehmer wäre daher erst bei über 236 erreicht gewesen. Somit war die Wahl auch nicht anfechtbar.

Doch „selbst wenn man dem nicht folgen wollte“, führte das Gericht aus, „wäre es dem anfechten Arbeitgeber jedenfalls aus Gründen der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Absatz 1 BetrVG) und unter Gesichtspunkten von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die von ihm geschehenen Verstöße zu berufen. Das gilt nach Auffassung des erkennenden Gerichts maßgeblich deshalb, weil der antragstellende Arbeitgeber die Informationen über die im Handelsregister erfolgte Eintragung der Verschmelzung – jedenfalls objektiv – angesichts des nur noch zur Verfügung stehenden kurzen Zeitraums bis zur angesetzten Betriebsratswahl erst so spät weitergegeben hat, dass dem Wahlvorstand nur noch ein unzumutbar verkürzter Zeitraum vor dem angesetzten Wahltermin verblieb, zumal der Geschäftsführer der Antragstellerin am 12.07.2017, mithin dem Tag vor der Wahl, an dem die Wählerliste noch hätte geändert werden können, für den Wahlvorstand für die ihm von diesem benötigten weiteren Information nicht mehr zur Verfügung stand.“

Damit hat das Arbeitsgericht Berlin ganz klar festgestellt: Der Wahlvorstand hat sich nichts vorzuwerfen, sondern hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Die Freude beim Betriebsrat war riesengroß. Gemeinsam mit den Unterstützern, die sich zur Gerichtsverhandlung am 30.11.2017 eingefunden hatten, feierten wir anschließend vor dem Gericht mit Tee und Glühwein.

Was ist mit Neuwahlen?
Die Neuwahl für den nunmehr gemeinsamen Betrieb – die immer geplant war – ist bereits auf den Weg gebracht. Der neue Wahlvorstand ist im Amt und hat seine Schulung absolviert. Der Aushang des Wahlausschreibens steht unmittelbar bevor.

Was war der Plan des Arbeitgebers?
Der Fall zeigt, wie Arbeitgeber systematisch versuchen, durch Umstrukturierungen ungeliebte Betriebsräte loszuwerden bzw. ihnen so viele Steine in den Weg zu legen, dass eine ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit nicht mehr möglich ist. Ihr Ziel ist es, engagierte Betriebsräte fertigzumachen und zum Aufgeben zu zwingen. Wer hält es schon monatelang durch, auf einer völlig ungesicherten rechtlichen Grundlage Betriebsratsarbeit zu machen, die nicht anerkannt wird? Außerdem mussten die Betriebsratsmitglieder täglich mit der Kündigung oder Lohnstreichung rechnen.

Auch schlug ihnen das Misstrauen von Kollegen entgegen, die sich auf die Richtigkeit der Darstellung und des Vorgehens der Arbeitgeberin verlassen hatten. Es spricht für den Teamgeist der verbliebenen fünf Betriebsratsmitglieder, dass sie trotz alledem eisern über Monate durchgehalten haben.

Besonders perfide ist dabei, dass es sich bei der Lebenshilfe in der Schule gGmbH um einen sozialen Träger handelt, der zum Lebenshilfe-Konzern gehört und vom Senat finanziert wird. Dass gerade ein solches Unternehmen sich trauen kann, die gesetzlich verankerten Rechte des Betriebsrats mit Füßen zu treten und damit vier Monate lang ungestraft durchkommt, ist erschreckend. Es zeigt außerdem, dass Betriebsrats-Bashing nach wie vor salonfähig ist.

Fazit
Die Gerichtsentscheidung war ein guter Tag für den Betriebsrat und mich im Kleinen und für die Betriebsratswelt im Großen. Sie sollte Betriebsräte, die auf ähnliche Weise von ihrem Arbeitgeber behindert, zermürbt oder eingeschüchtert werden, zum Durchhalten ermutigen. Der Kampf war hart und lang. Aber es lohnt sich!

Ihr BGHP-Betriebsratsberater-Team