Zeit zum Handeln! Knapp 1. Mrd. unbezahlter Überstunden im Jahr 2016
Mehrarbeit und Überstunden gehören für viele Arbeitnehmer zum Arbeitsalltag. Auch 2016 sind (unbezahlte) Überstunden für viele eher Normalität als Ausnahme. Insgesamt leisteten Beschäftigte im vergangen Jahr 1,73 Milliarden Arbeitsstunden außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit und damit gut ein Prozent mehr als noch 2014. Über die Hälfte aller geleisteten Überstunden – nämlich 947 Millionen – waren unbezahlte Überstunden. Diese Zahlen ergeben sich aus einer Anfrage der Fraktion „DIE LINKE“ im deutschen Bundestag (https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/ueber-eine-million-jobs-durch-17-milliarden-ueberstunden-vernichtet/).
Jutta Krellmann, MdB, Expertin für Arbeit und Mitbestimmung für DIE LINKE im Bundestag kommentierte diese Zahlen mit der Aussage:
„Überstunden schaden uns allen. Die einen arbeiten bis zum Umfallen, die anderen haben keine oder zu wenig Arbeit. Es würde über eine Million Vollzeit-Arbeitsplätze mehr geben, wenn die Beschäftigten keine Überstunden leisten müssten. Wir müssen nicht nur Reichtum, sondern auch Arbeit gerechter verteilen.“
Was wäre, wenn …?
In der Tat: Allein die unbezahlten Überstunden entsprechen dem Äquivalent von ca. 578.000 Vollzeitstellen. Rechnet man die bezahlten Überstunden dazu, entspräche dies nochmals etwa 478.000 Vollzeitstellen. Alle im Jahr 2016 geleisteten Überstunden ergäben also über 1. Mio. zusätzlicher Vollzeitstellen. Hinzu kommen die Folgen für die Betroffenen von Arbeitsverdichtung und Überstunden, nämlich Stress, Krankheit und Burn-out. Gerade vor diesem Hintergrund sind arbeitgeberseitige Forderungen nach noch flexibleren Arbeitszeiten und Aufweichungen der regelmäßigen Wochenarbeitszeiten und der Ruhezeiten als besonders kritisch zu bewerten.
Gebraucht wird eine gesellschaftlich gerechtere Verteilung der Arbeit und keine höhere Flexibilität der Arbeitnehmer. Während Arbeitgeber auf der einen Seite immer mehr Stellen nur als Teilzeit oder befristet ausschreiben, werden auf anderen Seite Arbeitnehmer wegen Arbeitsüberlastung krank – ein gesellschaftlicher Widerspruch. Dieses Thema wird daher sicherlich eines der zentralen Konfliktfelder in anstehenden Tarifverhandlungen darstellen, wie bereits aktuell in den laufenden Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie zu beobachten ist.
Wie lässt sich den Überstunden Einhalt gebieten?
Tariflichen Regelungen kommt eine sehr zentrale Rolle bei der Frage der Ableistung von Überstunden zu. Meistens wird in Tarifverträgen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit vereinbart und Regeln für die Anordnung und Vergütung von Überstunden getroffen. Aber nicht immer ist eine Gewerkschaft im konkreten Betrieb stark genug vertreten oder es besteht schlicht kein Tarifvertrag. In diesen Fällen ist dann vor allem die betriebliche Interessensvertretung, also der Betriebsrat gefragt:
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit, also der Anordnung von Überstunden. Der Arbeitgeber darf in Betrieben mit Betriebsrat nicht einfach allein Überstunden anordnen, sondern muss sich zuvor diesbezüglich mit dem Betriebsrat einigen. Stimmt der Betriebsrat nicht zu, muss der Arbeitgeber entweder die Einigungsstelle anrufen oder aber auf die Anordnung von Überstunden verzichten. Sollte er dennoch und ohne Zustimmung des Betriebsrats Überstunden anordnen, kann der Betriebsrat dies im Weg eines arbeitsgerichtlichen Verfahren (ggf. durch einstweilige Verfügung) untersagen lassen.
Praxistipp
Der Betriebsrat kann auch mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung zum Thema Überstunden abschließen, in dem die Grundsätze niedergelegt werden, unter denen Überstunden angeordnet werden dürfen, und die ein Verfahren regelt, welche Arbeitnehmer konkret für die Überstunden herangezogen werden sollen. Gleichzeitig sollte der Betriebsrat in einer solchen Betriebsvereinbarung auch Regelungen zum Freizeitausgleich oder Zuschläge niederlegen.
Wie können wir unterstützen?
Fragen von Arbeitszeiten sind nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein rechtlich anspruchsvolles Thema. Jeder Sachverhalt ist unterschiedlich. Darum beraten wir Betriebsräte ganz individuell und bieten ihnen maßgeschneiderte Lösungen für jeden Einzelfall. Darüber hinaus unterstützen wir gerne in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, gemäß § 40 Abs. 1 bzw. § 80 Abs. 3 BetrVG die erforderlichen Kosten für eine anwaltliche Unterstützung des Betriebsrats zu übernehmen.
BGHP Betriebsratsberater-Team, 19.12.2017