22.10.2015

Betriebsrat hat Initiativrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

Folgende Entscheidungsbesprechung von RA David-S. Schumann erschien in der Ausgabe 10/2015 der Zeitschrift „Arbeitrecht im Betrieb“ (AiB):

Dem Betriebsrat kommt auch hinsichtlich des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht zu. Ob dabei in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmereingegriffen werden kann, ist eine Frage der Abwägung mit schützenswerteren Interessen.

  (Leitsatz des Bearbeiters)

  LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2015 – 10 TaBV 1812/14, 10 TaBV 2124/14

  Der Fall

Der Betriebsrat verfolgte das Ansinnen, eine Einigungsstelle zum Thema elektronische Zeiterfassung gerichtlich einsetzen zu lassen. Die Arbeitgeberin hatte die Verhandlungen über die Umstellung auf eine Zeiterfassung mittels Terminals und Chipkarten abgebrochen, nachdem sich die Parteien nicht über alle Standorte der Terminals einigen konnten. Die Einsetzung einer Einigungsstelle verweigerte sie mit dem Hinweis, dem Betriebsrat stehe kein Initiativrecht zu, da es sich bei den Terminals um eine technische Einrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG handele, mittels derer das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer überwacht werden könne. Dabei berief sich die Arbeitgeberin maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahre 1989, in der das Gericht die Rechtsbeschwerde eines Betriebsrats zurückwies. Der Betriebsrat wollte die Abschaffung einer maschinellen Zeiterfassung durch den Arbeitgeber entgegentreten. Nach Auffassung des damaligen 1. Senats habe der Betriebsrat jedoch schon kein Initiativrecht auf Einführung, weshalb er folglich auch die Abschaffung nicht verhindern könne.1 Der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des BAG haben sich seitdem mehrere Gerichte insoweit angeschlossen, als dass sie die Anträge der Betriebsräte auf Einsetzung einer Einigungsstelle wegen offensichtlicher Unzuständigkeit zurückwiesen.2 Dies führte letztlich dazu, dass der Beschluss des BAG bisher nicht überprüft werden konnte, da § 99 Arbeitsgerichtsgesetz lediglich zwei Instanzen – Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG) – und damit keine Rechtsbeschwerde zum BAG vorsieht. Hingegen war die BAG-Entscheidung in wichtigen Stimmen der Literatur auf deutliche Kritik gestoßen, da dem Betriebsrat ein Initiativrecht zumindest dann zukomme, wenn dies im Interesse der Arbeitnehmer als geboten erscheine.3 Überzeugend ist auch die Kritik, die eine abzulehnende Bevormundung in der Einschränkung des Initiativrechts sieht.4

  Die Entscheidung

Das LAG entschied nunmehr richtigerweise, dass dem Betriebsrat ein Initiativrecht zukomme und die Einigungsstelle daher nicht offensichtlich unzuständig sei. Dadurch erhält der Betriebsrat die Gelegenheit, die gewünschte technische Einrichtung gegen den Widerstand des Arbeitgebers einzuführen. Dabei stellte das Gericht in seiner Entscheidung nicht nur auf den historischen Kontext der Gesetzeseinführung ab, wonach der Gesetzgeber nicht zwischen Angelegenheiten unterschieden hatte, die nur vom Arbeitgeber oder von beiden Betriebsparteien vor die Einigungsstelle gebracht werden könnten. Die Entscheidung des BAG sei zudem vereinzelt geblieben und die Voraussetzungen für eine richterliche Rechtsfortbildung nicht gegeben, weil eine solche eindeutig gegen den Willen des Gesetzgebers verstoßen würde. Auch habe BAG in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1989 die Rechtsbeschwerde deswegen zurückgewiesen, weil der Betriebsrat nur ein eingeschränktes Auskunftsrecht gehabt habe. Diese Einschränkung über die Verpflichtung des Arbeitgebers auf Erteilung von Auskünften über die Arbeitszeit habe das BAG aber inzwischen dergestalt geändert, als dass ein solches auch dann bestehe, wenn der Arbeitgeber selbst bisher über keine Kenntnis verfüge.5 Letztlich könne das Initiativrecht auch mit Rückgriff auf die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen werden, da es gegebenenfalls schützenswertere Rechte gäbe, die den Persönlichkeitsschutz überwiegen.

Darüber hinaus gab das LAG auch der Anschlussbeschwerde des Betriebsrats insoweit statt, als dass es nur zwei, sondern vielmehr drei Beisitzer festsetzte. Nach Auffassung des Gerichts gäbe es keine Regelbesetzung, sondern maßgebend sei in erster Linie der Schwierigkeitsgrad der Meinungsverschiedenheit und die zu ihrer Beilegung notwendigen Fachkenntnisse und betriebspraktischen Erfahrungen.

  Bedeutung für die Praxis

Betriebsräte können sich nunmehr auf die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg stützen, wenn sie eine technische Einrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einführen wollen. Hieran könnten sie neben der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes oder der korrekten Bezahlung für geleistete Arbeit unter anderem ein Interesse haben, weil sie beispielsweise Maschinen oder aber auch gefährdete Arbeitsplätze mittels Kameras überwachen wollen. Aber auch das Recht des Betriebsrats auf Einführung von Gleitzeit kann es notwendig machen, technische Einrichtungen wie Zeiterfassungsterminals als Hilfsmittel mitzuregeln.

Die Entscheidung der 10. Kammer des LAG ist daher insoweit wichtig, als dass andere Landesarbeitsgerichte es nun schwer haben werden, die Einsetzung der Einigungsstelle wegen offensichtlicher Unzuständigkeit mit kurzem Verweis auf die alte BAG-Rechtsprechung abzulehnen.

RA David-S. Schumann


[1]

BAG v. 28.11.1989 – 1 ABR 97/88.

[2]

LAG Niedersachsen v. 22.10.2013 – 1 TaBV 53/13 ; Sächsisches LAG v. 19.12.2014 – 2 TaBV 27/14; LAG Baden-Württemberg v. 4.12.2014 – 6 TaBV 3/14; a.A. ArbG Berlin v. 20.3.2013 – 28 BV 2178/13.

[3]

Fitting, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 87 Rdnr. 251.

[4]

Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 87 Rdnr. 166 m.w.N.

[5]

BAG v. 6.5.2003 – 1 A/02BR 13.