Annahmeverzugslohn

Was ist Annahmeverzugslohn?

Annahmeverzug ist gegeben, wenn der/die Arbeitnehmer/in seine/ihre Arbeitskraft anbietet, der Arbeitgeber diese aber nicht annimmt und dementsprechend auch keinen Lohn zahlt. Im Arbeitsrecht spielt der Begriff häufig eine Rolle.

Grundsätzlich gilt: „Ohne Arbeit kein Lohn.“ Von diesem Grundsatz gibt es allerdings zahlreiche Ausnahmen, bspw. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie der Erholungsurlaub. Ferner gibt es den sog. Annahmeverzugslohn. In § 615 Satz 1 BGB ist geregelt, dass der/die Arbeitnehmer/in für die infolge des Verzuges nicht geleistete Arbeit die vereinbarte Vergütung verlangen kann, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.

Eine klassische Fallkonstellation für Annahmeverzugslohn besteht häufig nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber. Durch die Kündigung bringt der Arbeitgeber zunächst zum Ausdruck, dass der/die Arbeitnehmer/in (zumindest nach Fristablauf) nicht mehr zu arbeiten braucht. Viele Kündigungen sind allerdings unwirksam, da bspw. die Voraussetzungen, die das KSchG an eine Kündigung stellt, nicht erfüllt sind. Der/Die gekündigte Arbeitnehmer/in braucht seine/ihre Arbeitskraft nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht nochmals explizit anzubieten. Die Rechtsprechung verlangt in aller Regel nämlich nicht, dass der/die (gekündigte) Arbeitnehmer/in nochmals explizit nachfragt, ob er/sie denn tatsächlich nicht arbeiten soll, da der Arbeitgeber nach Ausspruch einer Kündigung der ihm obliegenden Mitwirkungshandlung – Zuweisung vertragsgemäßer Arbeit – nicht nachgekommen ist.

Im Falle einer ordentlichen Kündigung gerät der Arbeitgeber mit Ablauf der Kündigungsfrist, im Falle einer außerordentlichen Kündigung unmittelbar nach deren Ausspruch ins Annahmeverzugslohnrisiko. Für den Fall, dass die Kündigung nicht wirksam ist, soll der Arbeitgeber aus seiner (unberechtigten) Annahmeverweigerung keinen Vorteil ziehen, weshalb er zur Lohnfortzahlung verpflichtet bleibt.

Diese Verpflichtung folgt aus § 615 Satz 1 BGB und bezeichnet den sog. „Annahmeverzugslohn“:
Der Arbeitnehmer kann für die infolge des Annahmeverzuges nicht geleistete Arbeit die vereinbarte Vergütung verlangen.

Gerade im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen ist dies oft auch für die Abfindungshöhe ein relevanter Fakt. Ist z.B. für den Arbeitgeber bereits einiges an Annahmeverzugslohnrisiko zusammen gekommen, sollten sich betroffene Arbeitnehmer*innen nicht mit einer Regelabfindung abspeisen lassen.

Was ist anrechnungsfähig?

Der/Die Arbeitnehmer/in muss sich allerdings auf den Annahmeverzugslohn das anrechnen lassen, was er/sie während der Zeit, in der er/sie normalerweise ohne den Annahmeverzug für den Arbeitgeber gearbeitet hätte, woanders verdient. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist dabei der Zeitraum des Annahmeverzugs insgesamt zu bewerten. Es kommt also z.B. nicht darauf an, ob der/die Arbeitnehmer/in die in den Anfangsmonaten weniger und in den Monaten zum Ende hin mehr verdient hat. Vielmehr ist der Gesamtsumme des Annahmeverzugslohns gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer während des gesamten Zeitraums anderweitig erworben hat (BAG, Urteil vom 22.11.2005 – 1 AZR 407/04).

Nebenverdienste, die bereits während der Erbringung der vertraglichen Arbeitsleistung erzielt wurden, bleiben außer Acht.

Was gilt für den Streitfall über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages?

Hier ist die Gemengelage anders zu bewerten. Bei Streitigkeiten über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages greifen Arbeitnehmer häufig zur Anfechtung des Vertrages.

Ist das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrags zwischen den Arbeitsvertragsparteien streitig, bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs des Arbeitgebers in der Regel eines tatsächlichen Angebots der Arbeitsleistung durch den/die Arbeitnehmer/in (BAG, Urteil vom 07.12.2005 – 5 AZR 19/05). Ein wörtliches Angebot genügt hier nicht, da der Arbeitgeber in diesen Fällen nicht zwingend erklärt haben muss, er werde die Arbeitsleistung nicht annehmen.

Was gilt für den Fall einer Freistellung?

Im Falle einer einseitigen unwiderruflichen Freistellung des Arbeitgebers hat das BAG für die restliche Vertragslaufzeit Annahmeverzug bejaht. Bei einer einseitigen widerruflichen Freistellung fehlt es hingegen an einem konkludenten Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages, weshalb das Vorgenannte gilt.

Der Arbeitgeber kann den Annahmeverzug nur dadurch verhindern, dass er die Arbeitsleistung wieder explizit einfordert, was wiederum nur in den Fälle der widerruflichen Freistellung möglich ist, da er die unwiderrufliche Freistellung nicht zurücknehmen kann.

Unter welchen Umständen kann der Arbeitgeber Kürzungen vornehmen oder sogar den Annahmeverzugslohn verweigern?

Arbeitgeber bringen häufig § 615 Satz 2 BGB ins Spiel. Danach muss sich der/die Arbeitnehmer/in vom Annahmeverzugslohn nämlich dasjenige anrechnen lassen, was er/sie infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner/ihrer Dienste erwirbt oder „zu erwerben böswillig unterlässt“.

Bei Kündigungsschutzprozessen gilt § 11 KSchG entsprechend. Danach muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen,

  1. 1. was er durch anderweitige Arbeit verdient hat,
  2. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen,
  3. was ihm an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Sicherung des Lebensunterhalts  nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch oder der Sozialhilfe für die Zwischenzeit gezahlt worden ist. Diese Beträge hat der Arbeitgeber der Stelle zu erstatten, die sie geleistet hat.

Problematisch ist dabei insbesondere Ziffer 2, die vom „böswilligen Unterlassen“ spricht. Nach der aktuellen Rechtsprechung liegt dies bspw. vor, wenn der/die Arbeitnehmer/in eine nicht dem Vertrag entsprechende Arbeit, die ihm der Arbeitgeber anbietet, grundlos verweigert, falls diese zumutbar war oder er vorsätzlich verhindert, dass ihm zumutbare Arbeit angeboten wird (BAG (5. Senat), Urteil vom 18.06.1965 – 5 AZR 351/64). Arbeitgeber nutzen dies z.T. als Einfallstor, um den Annahmeverzug zu verhindern. Stellt ein Gericht die Zumutbarkeit fest, gibt es für den/die betroffene/n Arbeitnehmer/in keinen Annahmeverzugslohn, unabhängig davon, ob die Kündigung wirksam war oder nicht.

Die Definition des „böswilligen Unterlassens“ gibt leider nicht viel her. Vielmehr wird der unbestimmte Rechtsbegriff „böswillig“ durch zwei andere ebenso unbestimmte Rechtbegriffe, nämlich „zumutbar“ und „grundlos“ ersetzt. Insoweit ist es in der anwaltlichen Beratung unabdingbar, die Voraussetzungen am jeweiligen Einzelfall zu prüfen und etwaige Verpflichtungen des Arbeitnehmers aus den Rechten und Pflichten herzuleiten, die sich für die Parteien aus dem Arbeitsvertrag ergeben.

Voraussetzung ist jedenfalls, dass der/die Arbeitnehmer/in vorsätzlich handelt. Dazu zählt, dass er/sie vorsätzlich untätig bleibt und auch die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert.

Der/die Arbeitnehmer/in muss hierfür allerdings nicht die erstbeste Tätigkeit ausüben. Wie bereits erwähnt, muss die Arbeit zumutbar sein, d.h. sich nach Treu und Glauben sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 Abs. 1 GG orientieren.

Muss sich ein betroffener Arbeitnehmer bewerben, um das Annahmeverzugslohnrisiko des Arbeitgebers aufrecht zu erhalten?

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten.

Das Bundesarbeitsgericht hat bereits im Jahr 1965 entschieden, dass ein/e Arbeitnehmer/in im Allgemeinen nicht böswillig im Sinne des § 615 Satz 2 BGB handelt, wenn er/sie während des Annahmeverzuges des Arbeitgebers kein anderweitiges Dauerarbeitsverhältnis eingeht, das ihm/ihr die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz erschweren könnte (vgl. BAG (5. Senat), Urteil vom 18.06.1965 – 5 AZR 351/64).

Diese Entscheidung überzeugt, denn ein Sonderkündigungsrecht im neu begründeten Arbeitsverhältnis ist nicht ersichtlich. Der/Die Betroffene wäre auf die ordentliche Kündigung verwiesen.

In der Praxis kann es passieren, dass Arbeitgeber Stellen ausschreiben und den/die gekündigte Arbeitnehmer/in auffordern, sich darauf zu bewerben. Bewirbt sich der/die Arbeitnehmer/in nicht, spricht viel dafür, dass die Arbeitsgerichte ein böswilliges Unterlassen bejahen würden. Wie Arbeitnehmer*innen am besten mit so einer Situation umgehen, lässt sich nur im individuellen Einzelfall im Rahmen einer Beratung klären.

Muss der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung die Vermittlung durch die Agentur für Arbeit in Anspruch nehmen?

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes ist diese Frage mit Nein zu beantworten. Das BAG hat mit Urteil vom 16.05.2000 (Az. 9 AZR 203/99) entschieden, dass der/die Arbeitnehmer/in während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses nicht verpflichtet ist, die Vermittlungsleistungen der Agentur für Arbeit (damals noch Arbeitsamt) zu bemühen.

In der Literatur ist diese Entscheidung z.T. auf Kritik gestoßen. Es wird vorgebracht, dass es sich bei der Arbeitslosmeldung um ein wenig aufwändiges Minimum handelt, das der/die einzelne Arbeitnehmer/in ohne große Anstrengung erfüllen kann. Ferner wird argumentiert, dass der/die völlig untätige Arbeitnehmer/in gegenüber einem/einer tätigen Arbeitnehmer/in bevorteilt wird, der/die sich arbeitssuchend meldet, ein Arbeitsangebot bekommt, dieses dann aber wegen vermeintlicher Unzumutbarkeit ablehnt.
In tatsächlicher Hinsicht hat sich diese Problematik größtenteils erledigt, da Arbeitnehmer gemäß
§ 141 SGB III
ohnehin verpflichtet sind, sich frühzeitig zu melden und zwar unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes.

Wir raten in jedem Fall zur frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung, allein bereits aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Nachteile, die ansonsten drohen können.

Was gilt in Fällen, in denen eine leistungsorientierte Vergütung geschuldet ist? Wie sieht es mit Zulagen, üblicher Mehrarbeit und Gratifikationen aus?

Auch in Fällen, in denen eine leistungsorientierte Vergütung geschuldet ist, läuft der Arbeitgeber Gefahr, tief in die Tasche greifen zu müssen. Schließlich ist im Zweifel davon auszugehen, dass ohne den Annahmeverzug der/die Arbeitnehmer/in die Leistung gebracht hätte und somit der Arbeitgeber auch die leistungsorientierte Vergütung nachzuzahlen hat. Es greift in diesen Fällen das sog. Entgeltausfallprinzip. So hat bspw. das Arbeitsgericht Suhl mit Urteil vom 05.05.2009 (4 Ca 2240/07) entschieden:

„Die rechtliche Konsequenz des Annahmeverzuges ist, dass die Vergütung für die Dauer des Annahmeverzuges nachgezahlt werden muss, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung der Arbeit verpflichtet ist. Die Berechnung des nachzuzahlenden Entgeltes erfolgt grundsätzlich nach dem Entgeltausfallprinzip. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf diejenige Vergütung, die er erhalten hätte, wenn er tatsächlich gearbeitet hätte. Bei Zeitlohnvergütung ist die regelmäßige Stunden-, Tage- oder Monatsvergütung einschließlich zwischenzeitlich eingetretener Verdiensterhöhungen nachzuzahlen. Sind regelmäßig Überstunden geleistet worden und wären sie auch im Annahmeverzugszeitraum angefallen, ist auf dieser Basis abzurechnen (BAG, Urteil vom 18.09.2001 – 9 AZR 307/00). Auch Gratifikationen und Zulagen, die im Fall der tatsächlichen Arbeitsleistung gezahlt worden wären, gehören zum nachzuzahlenden Arbeitsentgelt. Bei leistungsabhängiger Entlohnung, z. B. Akkordlohn, Provision ist eine Berechnung unter Zugrundelegung des leistungsbezogenen Verdienstes eines vergleichbaren Arbeitnehmers durchzuführen. Falls ein solcher nicht zur Verfügung steht, ist eine Durchschnittsberechnung auf der Grundlage einer in der Vergangenheit erzielten leistungsabhängigen Vergütung vorzunehmen, wobei als angemessene Vergleichsperiode bereits die letzten drei Monate als ausreichend erachtet wurden.“