Durchsetzung der Teilnahmeverpflichtung des Betriebsarztes und der FaSi an der ASA-Sitzung
Das BAG hat nunmehr ausdrücklich festgestellt, dass der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit (FaSi) an den gesetzlich vorgesehenen vierteljährlichen (Mindest-)Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses (ASA) gemäß § 11 ASiG teilnehmen müssen. Tun sie das nicht, kann der Betriebsrat gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die zuständige Arbeitsschutzbehörde ersuchen, gegenüber dem Arbeitgeber die Teilnahmepflicht aus § 11 ASiG im Wege einer Anordnung nach § 12 Abs. 1 ASiGdurchzusetzen. Im Verweigerungsfall kann die Behörde nach § 20 ASiG eine Geldbuße verhängen. Da dies umfassend gesetzlich geregelt ist, steht dem Betriebsrat allerdings bezüglich der Anwesenheitspflicht kein Mitbestimmungsrecht zu (BAG, Beschluss vom 08.12.2015 – 1 ABR 83/13).
a) Fall
Die Arbeitgeberin ist ein Textileinzelhandelsunternehmen mit bundesweit mehr als 390 Filialen. Antragsteller ist der in der Filiale 623 gewählte Betriebsrat. In der Filiale ist gemäß § 11 ASiG ein ASA gebildet.
Die Arbeitgeberin hat zur Wahrnehmung der Aufgaben von Betriebsärzten die P GmbH (P) und zur Wahrnehmung der Aufgaben von Fachkräften für Arbeitssicherheit die G mbH (G) jeweils als überbetrieblichen Dienst verpflichtet. Nach einem internen Informationspapier der Arbeitgeberin nehmen bei vier ASA-Sitzungen im Jahr nur an ein bis zwei Sitzungen Vertreter von P und/oder G teil. Entsprechend ist an der überwiegenden Zahl der ASA-Sitzungen weder ein Betriebsarzt noch eine FaSi anwesend.
Der Betriebsrat beanstandete dies und leitete ein Beschlussverfahren ein. Er beantragte, festzustellen, dass die Festlegung des Umfangs der Teilnahmeverpflichtung des Betriebsarztes und der FaSi an den ASA-Sitzungen seinem Mitbestimmungsrecht unterliegt. Die Arbeitgeberin beantragte, den Antrag abzuweisen.
b) Entscheidung
Das Arbeitsgericht entsprach dem Antrag des Betriebsrates. Das LAG wies ihn ab. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates vor dem BAG blieb erfolglos: Das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht ergibt sich nach Ansicht des BAG weder aus § 11 ASiG noch aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.
Die Richter stellten fest, dass § 11 ASiG für die erstrebte Feststellung nichts hergibt. Die Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber nur, in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten einen ASA zu bilden und enthält nähere Vorgaben zu dessen Zusammensetzung, Aufgaben und Zusammentreten.
Die vom Betriebsrat beanspruchte Mitbestimmung folge auch nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.. Dem stehe der Eingangshalbsatz des § 87 Abs. 1 BetrVG entgegen:
Nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG bestehen die Mitbestimmungsrechte nur, soweit es keine gesetzliche oder tarifliche Regelung gibt. Wenn eine Regelung den Mitbestimmungsgegenstand inhaltlich abschließend regelt, sind die Interessen der Arbeitnehmer bereits hinreichend geschützt und bedürfen keines weiteren Schutzes durch Mitbestimmungsrechte. Wenn der Arbeitgeber aufgrund einer zwingenden gesetzlichen oder tariflichen Regelung selbst keine Gestaltungsmöglichkeit mehr besitzt, ist eine eigenständige Regelung durch die Betriebsparteien außerdem nicht möglich. Verbleibt dagegen trotz der gesetzlichen oder tariflichen Regelung ein Gestaltungsspielraum, ist insoweit Raum für die Mitbestimmung des Betriebsrates.
Die Mindestteilnahme ist nach Ansicht des BAG in § 11 ASiG abschließend geregelt. Der Betriebsrat verweise zwar zutreffend darauf, dass sich dem Wortlaut unmittelbar keine Teilnahmeverpflichtung des Betriebsarztes und der FaSi an den ASA-Sitzungen entnehmen lasse. Sie ergebe sich aber zwingend aus der Systematik des § 11 ASiG:
Gemäß § 11 Satz 2 ASiG ist gesetzlich vorgeschrieben, dass zum ASA auch die Betriebsärzte und die FaSi gehören. Nach § 11 Satz 4 ASiG tritt der ASA mindestens einmal vierteljährlich zusammen. Wegen dieser gesetzlichen (Mindest-)Vorgaben handelt es sich um kein Zusammentreten des ASA, wenn die Betriebsärzte und/oder FaSi fehlen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie – wie im vorliegenden Fall – von vornherein geplant nicht an allen vierteljährlichen ASA-Sitzungen teilnehmen. Daran ändert auch die Wahrnehmung der Aufgaben der Betriebsärzte und der FaSi durch einen überbetrieblichen Dienst (§ 19 ASiG) nichts.
Da die Teilnahmepflicht des Betriebsarztes und der FaSi bereits umfassend geregelt ist, fehlt es an einer Gestaltungsmöglichkeit der Arbeitgeberin, bei der der Betriebsrat mitbestimmen könnte. Zwar genügt die Arbeitgeberin mit ihrer tatsächlichen Handhabung nicht ihrer Pflicht nach § 11 ASiG. Nach der Gesetzessystematik obliegt die Durchsetzung dieser gesetzlichen Verpflichtung jedoch der zuständigen Arbeitsschutzbehörde. Diese hat nach § 12 Abs. 1 ASiG eine entsprechende Maßnahme anzuordnen und nach § 20 ASiG im Weigerungsfalle durch Verhängung einer Geldbuße durchzusetzen. Der Betriebsrat kann nach § 89 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die zuständige Arbeitsschutzbehörde hierzu ersuchen.
c) Praxistipp
Zu begrüßen ist die ausdrückliche Feststellung des BAG, dass der Betriebsarzt und die FaSi an den gesetzlich vorgesehenen vierteljährlichen (Mindest-)Sitzungen des ASA teilnehmen müssen. Damit ist allen Arbeitgebern, die § 11 ASiG gerne für sich als „Kann-Vorschrift“ ausgelegt haben, das Handwerk gelegt. Und für den Fall, dass sich Arbeitgeber auch dann noch immer nicht daran halten, darf der Betriebsrat – ohne weitere Zwischenschritte – die Aufsichtsbehörde einschalten.
Aber auch selbst ist der Betriebsrat nicht machtlos: Zwar hat das BAG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Mindestbesetzung des ASA abgelehnt. Doch auch ohne Mitbestimmungsrecht hat der Betriebsrat die Chance, indirekt die Anwesenheit des Betriebsarztes und der FaSi durch eine Betriebsvereinbarung zu erzwingen. Es steht ihm nämlich frei, eine „Betriebsvereinbarung ASA“ zu initiieren. In diese kann er hineinschreiben, dass FaSi und Betriebsarzt anwesend sein müssen. Denn nur dann ist es ja laut BAG eine ordnungsgemäße ASA-Sitzung.
Dieses Vorgehen hat durchaus Aussicht auf Erfolg, auch wenn dem Betriebsrat diesbezüglich gar kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Denn die wenigsten Betriebsvereinbarungen enden durch einen Spruch der Einigungsstelle, in dem diese Regelung mangels Mitbestimmungsrecht nicht enthalten sein darf. Oft einigen sich die Betriebsparteien im Rahmen eines gegenseitigen Geben und Nehmens einvernehmlich. Und wenn die zwingende Anwesenheit des Betriebsarztes und der FaSi erst einmal in einer „Betriebsvereinbarung ASA“ niedergelegt ist, kann der Betriebsrat sie auch – unabhängig davon, ob ihm ein Mitbestimmungsrecht zusteht – nach § 77 Abs. 1 BetrVG durchsetzen, bei hartnäckiger Weigerung des Arbeitsgebers sogar gerichtlich.
Eine „Betriebsvereinbarung ASA“ ist aber auch noch aus anderen Gründen sinnvoll: In ihr können die Betriebsparteien das gesamte Verfahren, wie der ASA arbeiten soll, regeln – von der Einladung über die Tagesordnung und die Abstimmung bis hin zur Protokollierung und vieles mehr. Es handelt sich dabei quasi um eine umfassende Geschäftsordnung für den ASA. Hinsichtlich der Geschäftsordnungsregeln steht dem Betriebsrat auch ein zwingendes Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 11 ASiG zu, so dass eine entsprechende Betriebsvereinbarung sogar in einer Einigungsstelle erzwungen werden kann.
Über verbindliche Regeln zu Einberufung der Sitzung in einer „Betriebsvereinbarung ASA“ lässt sich gleichzeitig auch auf dieselbe Weise das Problem lösen, dass dem Betriebsrat bei der Einrichtung des ASA ebenfalls kein zwingendes Mitbestimmungsrecht zusteht (BAG, Beschluss vom 15.04.2014 – 1 ABR 82/12). Der Betriebsrat kann dann zwar nicht die Errichtung an sich erzwingen, aber die Einladung. Und wenn es eine Einladung gibt, wird es wohl auch eine Sitzung geben.
Doch selbst wenn es nicht gelingt, die Anwesenheitspflicht von Betriebsarzt und FaSi in einer „Betriebsvereinbarung ASA“ niederzulegen, hat das Gericht ausdrücklich festgestellt, dass sich der Betriebsrat an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden kann. Diese gibt dann der Arbeitgeberin auf, die Teilnahme des Betriebsarztes und der FaSi sicherzustellen. Die Behörde verfügt auch über ein Zwangsmittel: Eine Zuwiderhandlung gegen die Anordnung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die die Behörde mit einer Geldbuße bis zu 25.000,- € ahnden kann. Im Wege der vertrauensvollen Zusammenarbeit sollte der Betriebsrat der Arbeitgeberin jedoch unbedingt unter Beifügung der BAG-Entscheidung die Einschaltung der Behörde zunächst einmal androhen und nicht sofort zur Tat schreiten.