BAG, Urteil vom 18.06.1965 – 5 AZR 351/64
Leitsatz
1. Ein Arbeitnehmer handelt im allgemeinen nicht böswillig im Sinne des BGB § 615 S 2, wenn er während des Annahmeverzuges des Arbeitgebers kein anderweitiges Dauerarbeitsverhältnis eingeht, das ihm die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz erschweren könnte.
2. Hat der Arbeitgeber im Falle einer von ihm ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung in dem vom Arbeitnehmer angestrengten Kündigungsschutzprozeß sich nicht darauf berufen, daß die Kündigung zugleich als ordentliche anzusehen sei, so hindert ihn die Rechtskraft des der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils daran, nachträglich Tatsachen vorzubringen, die die Umdeutung der außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung begründen könnten.
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 5. August 1964 – 4 Sa 39/64 – aufgehoben.
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29. Mai 1964 – 3 Ca 88/64 – wird zurückgewiesen.
- Der Antrag der Beklagten auf Verurteilung des Klägers zur Zahlung eines Betrages von 3.080,94 DM (abzügl. 1.213,45 DM brutto minus 527,20 DM netto) nebst 7 1/2 % Zinsen wird abgewiesen.
- Die Anschlußrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung und der Revisionen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
1 Der Kläger war seit dem 1. April 1962 im Metallverarbeitungsbetrieb der Beklagten, in dem etwa 100 Arbeitnehmer beschäftigt werden, gegen ein Monatsgehalt von 1.100,– DM angestellt. Er hatte den Inhaber zu vertreten und auch sonstige gewisse leitende Funktionen wahrzunehmen, ohne jedoch das Recht zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern zu haben.
2 Am 5. April 1963 entließ ihn die Beklagte fristlos wegen angeblicher Verfehlungen und Fehlleistungen. Vorangegangen war eine Verhandlung der Parteien am 18. März 1963, in der die Beklagte vergeblich die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 1963 zu erreichen suchte. Am Tage nach dieser Verhandlung meldete der Kläger sich arbeitsunfähig krank. Seine Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 20. Mai 1963. In dem Kündigungsstreit des Klägers gegen die Beklagte stellte das Arbeitsgericht Stuttgart im Urteil vom 17. Juli 1963 die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung fest. Mit Schreiben vom 19. Juli 1963 stellte der Kläger der Beklagten nunmehr seine Arbeitskraft wieder zur Verfügung und bat um Mitteilung, wann er seine Arbeit wieder aufnehmen könne. Gleichzeitig übersandte er seine Lohnsteuerkarte für 1963, die Angestelltenversicherungskarte, eine Krankheitsbescheinigung und das ihm zuvor von der Beklagten ausgestellte Arbeitszeugnis. Die Beklagte beschäftigte den Kläger jedoch nicht weiter und legte gegen das die Kündigung für unwirksam erklärende Urteil des Arbeitsgerichts Berufung ein. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis in der Folgezeit von sich aus zum 30. September 1963 und trat am 1. September 1963 eine Stellung als Kalkulator bei der Firma E. in E. an. Die Berufung der Beklagten im Kündigungsschutzprozeß ist durch Urteil des Landesarbeitsgerichts Stuttgart vom 19. November 1963 rechtskräftig zurückgewiesen worden.
3 Mit der oben genannten Firma E. hatte der Kläger bereits Mitte Mai 1963 einen Anstellungsvertrag zum 1. Oktober 1963 abgeschlossen. Danach sollte er als Kalkulator zu einem Anfangsgehalt von 1.000,– DM beschäftigt werden. Nach Ablauf der dreimonatigen Probezeit, während der das Arbeitsverhältnis mit einmonatiger Kündigungsfrist zum Monatsende gekündigt werden konnte, war eine Erhöhung des Gehalts um 50,– DM vorgesehen. Zur Festsetzung eines früheren Zeitpunktes der Arbeitsaufnahme als am 1. Oktober 1963 kam es nicht, weil dies der Kläger wegen des anhängigen Kündigungsschutzprozesses nicht wünschte. Die Firma E., die in keinen späteren Eintrittstermin einwilligen wollte, war aber damit einverstanden, daß der Kläger schon zu einem früheren Zeitpunkt die Arbeit aufnehmen könne.
4 Mit der Klage begehrt der Kläger die Gehaltsnachzahlung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten am 30. September 1963. Die Höhe des Anspruchs beziffert er auf 3.255,53 DM, wobei er den Krankheitszeitraum vom 28. April bis 20. Mai 1963 ausgeklammert und die in der Zeit vom 7. Juni bis 31. August 1963 bezogene Arbeitslosenunterstützung abgesetzt hat.
5 Er hat dementsprechend beantragt,
6 die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.255,53 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September 1963 zu
zahlen.
7 Die Beklagte hat beantragt,
8 die Klage abzuweisen.
9 Sie ist der Auffassung, daß ihr Annahmeverzug spätestens am 30. Juni 1963 geendet habe. Sie habe nämlich dem Kläger bei der Verhandlung am 18. März 1963 unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie sich von ihm auf jeden Fall lösen wolle. Am 5. April 1963 habe sie zwar nur eine fristlose Kündigung ausgesprochen; eine solche sei auch nur Gegenstand des Kündigungsschutzprozesses gewesen. Auf Grund ihrer Erklärungen vom 18. März 1963 müsse die fristlose Kündigung jedoch zugleich als fristgemäße Kündigung zum nächsten zulässigen Kündigungstermin, dem 30. Juni 1963, angesehen werden. Im übrigen beruft sie sich darauf, daß der Kläger es böswillig unterlassen habe, während der Nichtbeschäftigung seine Arbeitskraft anderweit zu nutzen. Er hätte schon ab Ende Mai 1963 eine neue feste Stellung bei der Firma E. antreten können.
10 Der Kläger ist dem entgegengetreten. Er habe auf den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses Wert gelegt und dies durch Erhebung der Kündigungsschutzklage zum Ausdruck gebracht. Erst als auch nach dem Erlaß des erstinstanzlichen Urteils im Kündigungsschutzprozeß sich zunächst eine vergleichsweise Erledigung abgezeichnet habe, habe er die Kündigung zum 30. September 1963 ausgesprochen. Die Stelle bei der Firma E. habe er, nachdem sich die Vergleichsverhandlungen zerschlagen hätten, dann bereits zum 1. September 1963 angetreten. Er habe alles getan, um die Nachteile für die Beklagte möglichst gering zu halten. Die Stelle bei der Firma E. habe er sich selbständig besorgt. Auch habe er sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet. Als leitendem Angestellten sei ihm ferner nicht zuzumuten, sich an einen neuen Arbeitgeber zu binden, bevor die seine Ehre und Arbeitskraft erheblich berührende fristlose Entlassung rückgängig gemacht sei.
11 Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 2.830,65 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Es ist der Auffassung, daß der Annahmeverzug der Beklagten bis zum 30. September 1963 fortgedauert und der Kläger andererseits nicht böswillig seine Pflicht verletzt habe, die nachteiligen Folgen für die Beklagte möglichst gering zu halten. Die Abweisung eines kleinen Teils der Klage beruht auf einer vom Kläger nicht angefochtenen anderen Berechnung der Klageforderung.
12 Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts nur zur Zahlung von 828,29 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
1. September 1963 verurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Auf einen entsprechenden Antrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Kläger, der aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil die Zwangsvollstreckung mit Erfolg geführt hatte, weiterhin verurteilt, an die Beklagte 2.102,36 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23. Juni 1964 zu zahlen. Den weitergehenden mit 7 1/2 % bezifferten Zinsantrag hat das Landesarbeitsgericht abgewiesen.
13 Das Landesarbeitsgericht geht davon aus, daß der Annahmeverzug der Beklagten bis zum
30. September 1963 fortgedauert habe. Im übrigen folgt es aber der Auffassung der Beklagten, daß der Kläger böswillig die Erwerbsmöglichkeit bei der Firma E. ungenutzt gelassen habe.
14 Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Er rügt die Verletzung des Verfahrens- und des materiellen Rechts.
15 Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision. Mit der Anschlußrevision beantragt sie,
16 den Kläger zu verurteilen,
17 außer dem von ihm an die Beklagte zu zahlenden Hauptbetrag noch 7 1/2 % Zinsen von dieser Hauptsumme an die Beklagte seit 23. Juni 1964 zu zahlen.
18 Zur Begründung führt sie aus, sie habe in der Tatsacheninstanz belegt, daß sie 7 1/2 % Zinsen für Bankkredite aufzuwenden hatte. Ihr Vortrag sei unbestritten geblieben, so daß die Zusprechung von nur 4 % Verzugszinsen lediglich auf einem gerichtlichen Versehen beruhen dürfte.
19 Der Kläger beantragt,
20 die Anschlußrevision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
21 Die Revision ist begründet.
22 1. Das Landesarbeitsgericht hat der auf § 615 BGB gestützten Klage zum weitaus größten Teil den Erfolg deshalb versagt, weil der Kläger die Möglichkeit zu anderweitigem Erwerb während des Annahmeverzuges der Beklagten böswillig nicht ausgenutzt habe. Das Landesarbeitsgericht begründet dies im einzelnen wie folgt:
23 Der Kläger habe die ihm bei der Firma E. gebotene Möglichkeit zum alsbaldigen Dienstantritt auf Grund eines Mitte Mai 1963 geschlossenen Arbeitsvertrages ausgelassen. Die alsbaldige Ausnutzung dieser Möglichkeit sei ihm jedoch zumutbar gewesen. Die Auswirkungen des anhängigen Kündigungsrechtsstreits hätten die Arbeitsaufnahme nicht unzumutbar gemacht. Das deutsche Arbeitsrecht kenne keinen Rechtssatz des Inhalts, daß es einem fristlos gekündigten Arbeitnehmer wegen der Auswirkungen eines anhängig gemachten Kündigungsrechtsstreits nicht zumutbar sei, bei einem anderen Arbeitgeber eine Beschäftigung aufzunehmen. Würde man der Auffassung des Klägers folgen, so könnte eine Arbeitspflicht des fristlos entlassenen wie des ordentlich gekündigten Arbeitnehmers nicht vor der Beendigung des Kündigungsrechtsstreits angenommen werden. Im allgemeinen habe ein fristlos Entlassener genügend zu seiner Rechtfertigung getan, wenn er bei seinem neuen Arbeitgeber darauf hinweise, die Entlassung nicht hingenommen, sondern dagegen Klage erhoben zu haben. Gegenteiliges könne man vielleicht bei besonderen Entlassungstatbeständen annehmen. Werde z. B. ein Bankdirektor, ein Kassierer oder ein Buchhalter wegen Unterschlagung oder Untreue fristlos entlassen, so dürfte ihnen eine Tätigkeit in gleicher Stellung vor einer Rehabilitierung nicht zumutbar sein. Dies treffe aber nicht bei Entlassungsfällen wie dem des Klägers zu, bei dem es letztlich nur darum gegangen sei, ob er zustehende Befugnisse überschritten habe bzw. ob eventuelle geringfügige Überschreitungen einen wichtigen Grund zur fristlosen Entlassung darstellten. Der Kläger habe vor allem keine besonderen Umstände vorgetragen, die es verständlich erscheinen ließen, daß ihm die Tätigkeit bei der Firma E. als Kalkulator wegen der fristlosen Entlassung unzumutbar gewesen sei. Eine konkrete Vorbringungspflicht liege ihm in dieser Hinsicht jedoch ob. Die Firma E. habe keine Bedenken gegen den Abschluß eines unbedingten Arbeitsvertrages gehabt. Wenn hingegen der Kläger sich bei den Verhandlungen mit der Firma E. auf keine genaue Eintrittszeit habe festlegen wollen, so werde daraus seine Absicht erkennbar, die in Annahmeverzug befindliche Beklagte die uneingeschränkten Rechtsfolgen ihres Verhaltens voll und ganz tragen zu lassen. Dies könne allein die wahre Absicht des Klägers gewesen sein, wenn er sie auch geschickt dadurch getarnt habe, daß er sich auf die Unzumutbarkeit der Arbeitsaufnahme bei der Firma E. berufe und der Beklagten nach dem obsiegenden Urteil beim Arbeitsgericht nochmals seine Dienste angeboten habe.
24 Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand.
25 a) Fehl geht allerdings die Verfahrensrüge der Revision, mit der sie sich dagegen wendet, daß das Landesarbeitsgericht auf Grund einer lediglich schriftlichen Auskunft der Firma E. die Feststellung getroffen habe, der Kläger habe bereits Mitte Mai 1963 mit dieser Firma einen festen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist – ohne Widerspruch zu den sonstigen Darlegungen – als unstreitig festgestellt, daß Mitte Mai 1963 zwischen dem Kläger und der Firma E. ein Anstellungsvertrag geschlossen worden sei, dessen Beginn lediglich auf Wunsch des Klägers auf einen späteren Termin festgelegt worden sei; die Firma E. hätte auch einem sofortigen Beginn der Beschäftigung zugestimmt. Die Auskunft der Firma E. vom 22. April 1964 ist nach dem Tatbestand des Berufungsurteils nicht die Grundlage für diese Feststellungen. Für das Revisionsgericht ist daher die ohne Verfahrensverstoß getroffene Feststellung, daß der Kläger bereits ab Mitte Mai 1963 eine feste Arbeitsmöglichkeit bei der Firma E. gehabt habe, bindend.
26 b) Berechtigt ist jedoch die materiell-rechtliche Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe den Begriff der Böswilligkeit in § 615 Satz 2 BGB (3. Alternative) verkannt. Nach der genannten Vorschrift muß der Arbeitnehmer, der gegen den in Annahmeverzug befindlichen Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung geltend macht, sich u.a. den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er während des Unterbleibens der Dienstleistung anderweit zu erwerben böswillig unterläßt. Ein solches böswilliges Unterlassen liegt nach der grundsätzlichen Entscheidung des Zweiten Senats vom 18. Oktober 1958 (BAG 6, 306 ff. = AP Nr. 1 zu § 615 BGB Böswilligkeit), der sich auch der erkennende Senat im Urteil vom 18. Januar 1963 (BAG 14, 31 ff. = AP Nr. 22 zu § 615 BGB) angeschlossen hat, dann vor, wenn dem Arbeitnehmer ein Vorwurf dahin gemacht werden kann, daß er während des Annahmeverzuges trotz Kenntnis aller objektiven Umstände – Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit und Nachteilsfolgen für den Arbeitgeber – dennoch vorsätzlich untätig geblieben sei oder die Aufnahme der Arbeit verhindert habe. Der so bestimmte Begriff der Böswilligkeit stimmt mit dem in § 9 Suchst. b KSchG im gleichen Zusammenhang verwendeten Begriff der Böswilligkeit überein (vgl. die angeführte Entscheidung des Zweiten Senats). Für den vorliegenden Sachverhalt ist dabei besonders bedeutsam das Erfordernis, daß der Arbeitnehmer eine ihm zumutbare anderweite Erwerbsmöglichkeit ausgelassen haben müsse. Was zumutbar ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben zu bestimmen; dabei gewinnt die mit dem Arbeitsverhältnis verbundene Treuepflicht besondere Bedeutung, die es dem Arbeitnehmer gebietet, aus dem Annahmeverzug keinen Gewinn zu ziehen und die dem Arbeitgeber entstehenden Nachteile möglichst gering zu halten (vgl. BAG 14, 156 ff. = AP Nr. 23 zu § 615 BGB). Dabei ist der Arbeitgeber, im vorliegenden Falle also die Beklagte, als Schuldner gehalten – was das Landesarbeitsgericht offenbar verkennt-, die Voraussetzungen der Anrechnungspflicht nach § 615 Satz 2 BGB darzulegen und darzutun (BAG 6, 306 ff. mit weiteren Nachweisen).
27 Den so bestimmten Begriff der Zumutbarkeit und damit der Böswilligkeit im Sinne des § 615 Satz 2 BGB verkennt das Berufungsgericht. Seine gesamten Darlegungen hierzu beruhen auf der Voraussetzung, daß der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers jede andere Erwerbstätigkeit, sofern sie nur nach seinen persönlichen Verhältnissen und den sonstigen Umständen angemessen ist, ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Auswirkungen auf das bestehende Arbeitsverhältnis übernehmen müsse, um die Nachteile für seinen Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Das Berufungsgericht folgt damit uneingeschränkt dem Vorbringen der Beklagten, die den Kläger ausschließlich auf anderweitige Arbeitsmöglichkeiten in Dauersteilen bei anderen Arbeitgebern verweist. Die Beklagte hat weder im Hinblick auf die Firma E. noch die sonstigen von ihr bezeichneten Arbeitsmöglichkeiten vorgetragen, daß es sich um solche gehandelt habe, die es dem Kläger ermöglicht hätten, so zeitgerecht wieder aus dem Dienst auszuscheiden, daß er im Falle des Obsiegens im Kündigungsschutzprozeß den Dienst bei der Beklagten alsbald hätte fortsetzen können; sie will ihn im Gegenteil wie einen solchen Arbeitnehmer behandelt wissen, der endgültig aus seinem bisherigen Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Dies ist im Rahmen des § 615 Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht möglich. Die Eingehung von Dauerarbeitsverhältnissen während des Annahmeverzuges des Arbeitgebers ist dem Arbeitnehmer vielmehr im allgemeinen mit Rücksicht auf den Fortbestand des vom Annahmeverzug betroffenen Arbeitsverhältnisses in der Regel nicht zuzumuten (so die allgemeine Meinung für den, wie erwähnt, rechtlich gleichliegenden Fall des § 9 Buchst. b KSchG: s. Auffarth-Müller, KSchG, Anm. 7 zu § 10; Herschel-Steinmann, KSchG, 5. Aufl., Anm. 4 zu § 9; Monjau-Heimeier, KSchG, Anm. 3 zu § 9; Maus, Handbuch des Arbeitsrechts, VI, S. 225 Anm. 8 a), und zwar jedenfalls dann, wenn ihm dadurch die Möglichkeit der alsbaldigen Rückkehr in die vertragsgemäße Position genommen oder erschwert werden würde. Der Arbeitgeber würde sonst praktisch – vor allem bei den heute bestehenden Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt – von den Rechtsfolgen des von ihm zu vertretenden Annahmeverzugs selbst weitgehend befreit werden; dies ist jedoch nicht der Sinn der Anrechnungsvorschrift des § 615 Satz 2 BGB und erscheint überdies gerade in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Annahmeverzug durch ein vorsätzliches unrechtmäßiges Verhalten des Arbeitgebers ausgelöst worden ist, durchaus unbillig. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nichts dafür vorgetragen, daß der Kläger sich so rechtzeitig aus der neuen rechtlichen Dauerbindung bei der Firma E. hätte lösen können, daß er bei Beendigung des Annahmeverzugs die antragsgemäße Tätigkeit alsbald wieder hätte aufnehmen können. Nach dem vorgelegten Vertragsangebot der Firma E. vom 13. Mai 1963 hätte der Kläger das neue Arbeitsverhältnis nach Ablauf der dreimonatigen Probezeit, während der die Kündigung mit einer Frist von einem Monat zum Ende des Kalendermonats zulässig war, nur nach Maßgabe des § 622 BGB, also mit sechswöchiger Kündigungsfrist zum Schluß eines Kalendervierteljahres kündigen können. Das hätte es ihm im Falle der Beendigung des Annahmeverzugs ohne Zweifel erheblich erschwert, an seinen bisherigen Arbeitsplatz zurückzukehren. Dabei kann dem Kläger nicht etwa entgegengehalten werden, daß er – nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts – jedenfalls ab 1. Oktober 1963 bereit war, ein Dauerarbeitsverhältnis mit der Firma 35 E. zu begründen. Da er überhaupt nicht verpflichtet war, ein Dauerarbeitsverhältnis des bezeichneten Inhalts abzuschließen, um dem Vorwurf der Böswilligkeit im Sinne des § 615 Satz 2 BGB zu entgehen, ist es ohne Belang, daß er den Zeitpunkt für die Aktualisierung des neuen Arbeitsverhältnisses erst auf den 1. Oktober festsetzen ließ. Abgesehen davon erhielt er damit zugleich die Möglichkeit, je nach dem Stand des Kündigungsschutzprozesses das neue Arbeitsverhältnis ggf. schon vor Dienstantritt zu kündigen – was nach der grundsätzlichen Entscheidung des Ersten Senats vom 22. August 1964 – 1 AZF 64/64 – (AP Nr. 1 zu § 620 BGB) möglich ist – und dadurch die erheblich kürzere, bereits ab 1. Oktober 1963 laufende Kündigungsfrist während der Probezeit auszunutzen. Hätte er, wie die Beklagte es ihm zumuten will, schon ab 1. Juni 1963 das Dauerarbeitsverhältnis bei der Firma E. angetreten, so mußte er ernstlich damit rechnen, daß die Probezeit ablief und damit wesentlich längere Kündigungsfristen Platz griffen, ehe er einigermaßen Gewißheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses erlangte.
28 Im Zusammenhang mit der Erörterung der Frage, ob die Voraussetzungen einer Anrechnungspflicht nach § 615 Satz 2 BGB vorliegen, ist es unerheblich, ob die Beklagte, so wie sie es behauptet, den Kläger schon vor dem Ausspruch der Kündigung ausdrücklich darauf hingewiesen habe, sie werde sich auf alle Fälle von ihm lösen. Dieser Vortrag der Beklagten mag in dem hier erörterten Zusammenhang als richtig unterstellt werden. Solange das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht, kann ein in Annahmeverzug befindlicher Arbeitgeber durch solche Hinweise keinen Einfluß auf die Frage nehmen, in welchem Umfang der anderen Seite anderweitige Erwerbsmöglichkeiten zumutbar seien. Er kann hiermit den Kreis der zumutbaren anderen Erwerbsmöglichkeiten nicht ausweiten, insbesondere nicht die Aufnahme einer anderen Dauertätigkeit zumutbar erscheinen lassen, die dem Arbeitnehmer die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz erschwert.
29 Zumutbar wäre dem Kläger die Aufnahme einer anderweiten Dauerbeschäftigung allerdings gewesen, wenn er selbst von vornherein entschlossen gewesen wäre, nicht mehr in die Dienste der Beklagten zurückzukehren. Einen solchen Willen unterstellt ihm die Beklagte nach ihrem Vorbringen jedoch selbst nicht; er ist auch vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden. Die Tatsache, daß der Kläger im Kündigungsschutzverfahren keinen Auflösungsantrag gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 KSchG gestellt hat, spricht vielmehr dafür, daß er primär – jedenfalls bis zum Zeitpunkt der von ihm selbst ausgesprochenen Kündigung und der unmittelbar daran anschließenden Arbeitsaufnahme bei der Firma E. – an seinen vertraglichen Rechten aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten festhalten wollte. Für den entgegengesetzten Willen spricht keineswegs zwingend, daß er den Antritt einer neuen Dauerstellung bei der Firma E. ernstlich ins Auge gefaßt hat. Einem fristlos gekündigten Arbeitnehmer, der – in Ungewißheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses – sich nach einer neuen Stellung umsieht, kann damit nicht ohne weiteres der Wille unterstellt werden, ggf. nicht die bisherige Tätigkeit fortzusetzen.
30 2. Die Beklagte hat demnach, wie die vorstehenden Darlegungen ergeben, nicht in schlüssiger Form dargelegt, daß der Kläger eine andere ihm zumutbare Erwerbsmöglichkeit ausgelassen und damit böswillig im Sinne des § 615 Satz 2 BGB gehandelt habe. Damit entfällt der tragende Grund für die Abweisung des größten Teils der Klage durch das Urteil des Berufungsgerichts. Dieses Urteil ist daher, ohne daß es noch auf Weiteres ankäme, aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO).
31 3. Gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO kann in der Sache selbst entschieden werden, da die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzen auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
32 a) Nach dem festgestellten Sachverhalt befand die Beklagte sich vom Zeitpunkt der unberechtigten Kündigung an – mit Ausnahme des nicht von der Lohnfortzahlungspflicht erfaßten Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit des Klägers (29. April bis 20. Mai 1963) – in Annahmeverzug gemäß § 293 BGB. Mit dem Ausspruch der, wie rechtskräftig feststeht, unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 5. April 1963 hatte die Beklagte gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß sie die Annahme der Dienste des Klägers ablehne (vgl. BAG 3, 66 ff. = AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG; BAG 10, 202 ff. = AP Nr. 18 zu § 615 BGB). Demnach genügte gemäß § 295 Satz 1 BGB ein wörtliches Angebot der Dienste durch den Kläger, um die Beklagte in Annahmeverzug zu setzen.
33 b) Ein solches wörtliches Angebot der Dienste ist darin zu erblicken, daß der Kläger sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung von 5. April 1963 gewandt hat und dagegen mit einer entsprechenden Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit vorgegangen ist (vgl. BAG 10, 202 = AP Nr. 18 zu § 615 BGB). Daß dieses Angebot der Dienste vom Kläger nicht ernst gemeint gewesen wäre, behauptet die Beklagte selbst nicht. Das Berufungsgericht meint zwar, daß das nach dem obsiegenden Urteil des Arbeitsgerichts vom 17. Juli 1962 von Kläger mit Schreiben vom 19. Juli 1963 erneut ausgesprochene Angebot der Dienste von der Absicht getragen gewesen sei, die Beklagte die Folgen des Annahmeverzugs uneingeschränkt tragen zu lassen. Damit ist aber nicht zugleich festgestellt, daß der Kläger kein ernsthaftes Interesse mehr an dem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses gehabt habe. Im übrigen bedurfte es eines zweiten Angebotes der Dienste durch den Kläger nicht mehr, um die Fortdauer des Annahmeverzugs zu begründen.
34 c) Zu Unrecht leugnet die Beklagte das Fortbestehen des Annahmeverzugs jedenfalls über den 30. Juni 1963 hinaus mit dem bereits in anderem Zusammenhang behandelten Vorbringen, sie habe dem Kläger bereits in März 1963 unmißverständlich zu erkennen gegeben, daß sie sich auf jeden Fall von ihm trennen wolle. Mit diesem Vortrag will die Beklagte dartun, daß die am 5. April 1963 ausgesprochene fristlose Kündigung gleichzeitig als fristgerechte – und damit den Annahmevorzug aufhebende – Kündigung zum nächsten zulässigen Kündigungstermin (30. Juni 1963) aufzufassen sei. Auch in dem hier erörterten Zusammenhang kann sie jedoch mit ihrem Vorbringen nicht gehört werden. Der Berücksichtigung dieses Vorbringens steht die Rechtskraftwirkung der Entscheidung des Arbeitsgerichts vom 17. Juli 1963 im Kündigungsschutzprozeß entgegen. Wie unstreitig ist, hat die Beklagte die Kündigung vom 5. April 1963 nur als außerordentliche ausgesprochen und im Kündigungsschutzprozeß nicht zu erkennen gegeben, sie wolle diese Kündigung auch als fristgerechte behandelt sehen. In einem solchen Falle nimmt die Rechtskraft des die Kündigung für unwirksam erklärenden Urteils im Kündigungsschutzprozeß ihr die Befugnis, der Kündigung nachträglich einen weiteren Inhalt zu gehen als er Gegenstand des Kündigungsprozesses gewesen ist (ebenso Auffarth-Müller, KSchG, Anm. 19 zu § 11; Herschel-Steinmann, Anm. 7 b zu § 11 KSchG; Maus, Handbuch des Arbeitsrechts VI, S. 251; Güntner in RdA 1953, 362 und AR-Blattei D/Kündigungsschutz III D; im Ergebnis ebenso Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I, S. 674, und Hueck, KSchG, Anm. 14 zu § 11).
35 Gegenstand des vorangegangenen Kündigungsschutzverfahrens war die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlaß einer ganz bestimmten Kündigung zu dem gewollten Endtermin aufgelöst worden war (vgl. BAG 7, 36 ff. [43 ff.]= AP Nr. 17 zu § 3 KSchG; BAG 7, 51 [55 ff.] = AP Nr. 18 zu § 3 KSchG). Die Beklagte hatte nun nur eine einzige – außerordentliche – Kündigung, also eine solche zu einem einzigen – vorzeitigen – Termin ausgesprochen. Diese Kündigung konnte jedoch nach § 11 Abs. 2 Satz 2 KSchG zugleich als ordentliche Kündigung für den nächsten zulässigen Kündigungstermin angesehen werden. Eine solche Umdeutung hebt nicht den Charakter der ausgesprochenen Kündigung als einer einzigen und einheitlichen rechtsgeschäftlichen Willenserklärung auf. Sie bedeutet also nicht, daß die Kündigung sozusagen in zwei voneinander getrennte Willenserklärungen zerlegt werde, von denen jede ein eigenes prozessuales Schicksal haben könne. Es erfolgt ggf. vielmehr im Streitfall nur eine mehrfache rechtliche Würdigung der einheitlichen Willenserklärung. Die Möglichkeit der Umdeutung bedeutet ferner zugleich, daß die außerordentliche Kündigung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von vornherein nicht nur zu dem vorzeitigen, sondern – sofern überhaupt gewollt – zugleich auch zu dem nächsten zulässigen Kündigungstermin erreichen will. Aus beidem – der Einheitlichkeit der Kündigungserklärung und der ihr ggf. von vornherein immanenten Richtung auf einen weiteren Kündigungstermin – folgt zwingend, daß im Falle der außerordentlichen Kündigung Streitgegenstand die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht nur zu dem vorzeitigen, sondern – sofern überhaupt gewollt – von vornherein zugleich auch zu dem nächsten zulässigen Kündigungstermin ist. Die Rechtskraft des der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils umfaßt damit gemäß § 322 ZPO die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis zu keinem der möglichen Termine aufgelöst worden sei. Dies gilt ganz unabhängig davon, ob die Frage der Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche im Kündigungsschutzprozeß zur Sprache gekommen ist. Ergibt sich also die Nichtberechtigung der außerordentlichen Kündigung, so steht damit zugleich rechtskräftig fest, daß sie auch in Gestalt einer ordentlichen Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Ein solches Ergebnis ist auch unter prozeß-ökonomischen Gesichtspunkten geboten, da es zu einer endgültigen Klärung der durch die Kündigung gestörten arbeitsrechtlichen Beziehungen der streitenden Parteien führt und dem Klärungs- und Friedenszweck des Instituts der Rechtskraft entspricht.
36 d) Auch hinsichtlich der Höhe des Anspruchs ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif. Soweit der Kläger vom Arbeitsgericht mit der Klage abgewiesen worden ist, hat er das Urteil nicht mit der Berufung angegriffen. Gegen den vom Arbeitsgericht zuerkannten Teil des Klageanspruchs hat die Beklagte irgendwelche Einwendungen im Berufungsverfahren nicht vorgebracht. Es kann daher das arbeitsgerichtliche Urteil wieder hergestellt werden.
37 4. Abgewiesen werden muß nach alledem der Antrag der Beklagten gemäß § 717 Abs. 2 ZPO, mit dem sie die Zurückzahlung der Beträge erstrebt, die der Kläger auf Grund der vorläufigen Vollstreckbarkeit des arbeitsgerichtlichen Urteils erlangt hat.
38 5. Zurückzuweisen ist ferner auch die Anschlußrevision der Beklagten, mit der sie lediglich eine höhere Verzinsung des Betrages erstrebt, den der Kläger auf Grund des Antrages nach § 717 Abs. 2 ZPO zurückzahlen sollte.
39 gez. Dr. Boldt Dr. Auffarth Siara
40 Dr. Schneider Herm. Kutschbach
Quelle: https://www.juris.de